Teil 2/2
Ethikmodelle oder die relative Ethik
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Teil 1 Ethik allgemein - Teil 2: Ethikmodelle
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Themen:

Tiere über den Sinn des menschlichen Lebens (aus 5)
Ein Rückblick
Anthropozentrismus
     Klassischer Anthropozentrismus
     Gemäßigter Anthropozentrismus
Physiozentrismus
     Holismus
     Radikaler Biozentrismus
     Zoozentrismus
     Pathozentrismus
     Gemäßigter Biozentrismus
Ethik im Gesetz

 

Wieso relative Ethik? Ein kleiner Rückblick...

Im letzten Text stand, dass "jeder moralisch Handelnde ... unter denselben Umständen zum selben Ergebnis gelangt" (normative Ethik). Wie kann Ethik da relativ sein?
Ethik hat sich mit den Menschen entwickelt. Sie ist die Wissenschaft von der Moral, die Moral sind die Sitten der Gesellschaft. Die Sitten der Gesellschaft wiederum sind kein Absolutum, sondern spiegeln ihre Zeit wieder und ändern sich mit ihr. Möchte man ethische Ansätze verstehen, so bleibt einem ein kurzer Blick auf die Umstände nicht erspart, was unlängst auch Goethe erkannt haben muß:

"Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben."

Johann Wolfgang Goethe
aus "West-östlicher Diwan", 1819

Von der Definition und Geschichte der Ethik, sowie über verschiedene Argumentationensweisen handelte der letzte Text. Die grundsätzliche Einteilung in Anthropozentrismus und Physiozentrismus wurden ebenfalls im letzten Text abgehandelt.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Modelle der westlichen Ethik aufgegriffen und beschrieben werden. Dabei wird sowohl der Anthropozentrismus als auch der Physiozentrismus, wie in dem nebenstehenden Schaubild verdeutlicht, mehrfach unterteilt.

Anmerkung des Verfassers:
Die folgenden Texte erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Zu manchen Modellen wurden zusätzlich bekannte Vertreter eingebracht, die einen entscheidenen Einfluss hatten/haben. Ziel des Textes soll nicht die vollständige Widergabe mit allen Vertretern sein, sondern ein grober Überblick mit einigen Beispielen am Rande. Zudem wurde die Kritik der jeweiligen Ethikmodelle nicht beigefügt, da eine vollkommen objektive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Schwachpunkten meinen Kenntnisstand sowohl inhaltlich als auch methodisch sprengen würde.


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Anthropozentrische Ethik

Der Anthropozentrismus stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Der Wert von allem Anderen hängt von der Einschätzung des Menschen ab. Es lassen sich zwei weitere Unterteilungen vornehmen.

Klassischer Anthropozentrismus
Nur der Mensch ist Gegenstand der Verantwortung ("moralischer Status"). Die Begründung für die Begrenzung auf den Menschen sind vielseitig:

  • Fähigkeit, glücklich zu sein
  • eine Seele habend
  • Vernunft
  • Sprachfähigkeit
  • Rechtfertigung
  • Selbst-Bewußtsein
  • Ebenbild Gottes
  • zur Religion fähig
  • Fähigkeit zur Moral

Descartes
Die Begründung für seinen Anthropozentrismus liegt in Descartes' Sicht des Lebendigen. Er teilte seine Umwelt in materielles Dinge (res extensae) und beseelte Dinge (res cogitans) ein. Die Tiere waren für ihn Maschinen gleich einem mechanischen Automaten. Auch den menschlichen Körper sah er als solchen an, gestand dem Mensch (und nur ihm) jedoch zusätzlich eine Seele zu, deren "Aufenthaltsort" für ihn die Zirbeldrüse war. Das machte den Menschen zum einzig wichtigen Wesen in einem qualitätenlosen Raum mit Maschinen ohne Moral.

Kant
Für Kant war die Vernunft der entscheidende Faktor. Tieren sagte er zwar im Gegensatz zu Descartes eine Leidensfähigkeit zu, Eigenwerte oder Rechte hatten sie jedoch nicht. Menschen können sich "Erheben über die Ordnung der vernunftlosen Dinge", erlangen Autonomie, unterwerfen sich sich freiwillig den Sittengesetzen und erlangen so Achtung.

Gemäßigter Anthropozentrismus
Der Mensch hat hier zwar eine Sonderstellung, ist der "Herr" der Welt, hat aber im Gegensatz zum klassischen Anthropozentrismus kein uneingeschränktes, bedinungsloses Verfügungsrecht über sämtliche Kreatur. So war Thomas von Aquin zum Beispiel der Meinung, der Mensch sollte Tiere mit Achtung begegnen. Damit gestand er ihnen jedoch keinen anderen Status zu. Vielmehr war er der Meinung, dass Menschen sich durch unmenschliches Verhalten gegenüber Tieren an unmoralisches Verhalten per sé gewöhnen und damit auch wider ihren Mitmenschen unmoralisch handeln.

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Physiozentrismus

Im Physiozentrismus ist der moralische Status auf mehr oder weniger große Bereiche der Natur ausgedehnt. Der augenscheinlichste Punkt ist dabei der Grad dieser Ausdehnung.
Im Verlauf der Geschichte steigert sich die Integration jedoch nicht von einer sehr eingeschränkten bis zu einer totalen Integration allen Lebens, wie dies vielleicht erwartet werden könnte.

Holismus (Deep-ecology-Bewegung)
Der radikalsten Weg der Integration wird im Holismus beschritten. Die gesamte Natur inklusive deren unbelebte Teile wird hier der moralischen Gemeinschaft beigefügt. Das grundlegende Prinzip ist der Pantheismus, wie er in verschiedenen Philosophien gefunden wird:

  • "Gott lebt in Allem" (Buddhismus)
  • "Alles lebt in Gott" (Spinoza)
  • "Dao - der richtige Weg" und das "Weltprinzip" (Taoismus).

Das moralisch relevante Kriterium (falls es so etwas beim Holismus gibt) wäre damit das Sein an sich.

Radikaler Biozentrismus
Albert Schweitzer (14.01.1875 - 04.09.1965) gilt als der wichtigste Vetreter des radikalen Biozentrismus. Seine Ethik wird auch als die "Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben" bezeichnet. Schweitzer sieht eine Rechfertigungspflicht gegenüber jeglicher Form des Lebens bis hinunter zu den Einzellern und Pflanzen. Zudem war ihm alles Leben gleich viel wert, der radikale Biozentrismus differenziert nicht zwischen einem Mord an einem Menschen und dem an einem niederen Tier. Die unbelebte Natur schließt er jedoch aus.
Die moralisch relevante Eigenschaft ist damit das Lebendigsein. Er bezeichnete sich selbst als einen Massenmörder, weil er als Arzt Menschen impfte und damit Millionen von Bakterien tötete. Die Schuld, die er damit auf sich laden würde, sei nicht zu rechtfertigen (er argumentierte deontologisch). Aber er sagte auch "Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will". Schweitzer war sich durchaus der Ausweglosigkeit seiner eigenen Ethik bewußt, nach der man sich im Leben zwangsläufig schuldig machen mußte.

Zoozentrismus
Der Zoozentrismus grenzt den Kreis des Schützenswerten auf die Tiere ein, damit fallen Pflanzen, Pilze und Bakterien aus diesem Bereich heraus. Diese Einstellung wird häufig von Tierschutzaktivsten vertreten. Die moralisch relevante Eigenschaft ist die Autonomie (wie es sich dabei mit sessilen Tieren verhält sei dahingestellt) und das speziesspezifische Interesse.

Pathozentrismus
Auf Jeremy Bentham (1748-1832) geht der Kernsatz des Pathozentrismus zurück: "Die Frage ist nicht: Können sie denken? oder: Können sie sprechen? sondern: Können sie leiden?". Die moralisch relevante Eigenschaft ist damit die Leidensfähigkeit, die zu einer Abgrenzung leidensfähiger Tiere von der übrigen Natur führt. Für gewöhnlich schließt dies die Tiere mit einem zentralen Nervensystem ein, also die Wirbeltiere. Nicht zum Leiden befähigte Tiere sind damit ethisch irrelevant. Wie es um die hochentwickelte Evertebraten wie die Cephalopoden steht, die nicht über ein ZNS verfügen (sondern über verschmolzene Zerebralganglien) steht zur Diskussion offen, sollten sich diese als Leidensfähig erweisen, so müßte die Gruppe der Wirbeltiere um die Kopffüßer erweitert werden.
Im Tierschutzgesetz werden Cephalopoden und Decapoden rechtlich näher an die Wirbeltiere gerückt (TSchG §8a Absatz 1: " Wer Tierversuche an Wirbeltieren, die nicht der Genehmigung bedürfen, oder an Cephalopoden oder Dekapoden durchführen will...").

Peter Singer
Die Bücher "Animal Liberation" und "Praktische Ethik" von Peter Singer (*1946) lösten eine Welle der Empörung aus. Singer vertritt im Prinzip einen pathozentrischen Standpunkt. Zudem zeigt sich in seiner Position ein sogenannter Präferenz-Utilitarismus oder Hedonistischer Utilitarismus. Dessen Ziel ist es, mit einer möglichst universalistischen Ethik eine möglichst einfache Begründung zu erreichen, um "unparteiische und maximale Befriedigung von Präferenzen, d.h. Wünschen und Interessen" zu erreichen (Präferenz U.; 3: S. 462) oder zu einer Maximierung der Lust zu gelangen (Hedonistischer U.; 1). Eine Handlung ist demnach moralisch vertretbar, wenn eine größtmögliche Präferenz oder Lust erlangt wird. Dabei legt Singer großen Wert darauf, dass die Entscheidung unabhängig von der Art getroffen wird, da er eine solche als "Speziezismus" (Speciecism) bezeichnet und ablehnt. Die moralisch relevante Eigenschaft ist das "Person-sein".
Dabei unterteilt er die Menschen nochmals in zwei Klassen: Angehörige der Homo sapiens (mündige, gesunde Menschen) und Personen (Kinder, Behinderte, Demente). Personen sind nach Singer Individuen mit Selbst-Bewußtsein, Zeit-Bewußtsein und damit auch der Fähigkeit, Pläne in Bezug auf die Grad der Integration - von Innen nach Außen bekommen immer größere Teile der Natur einen Eigenwerteigene Zukunft zu haben. Die Wirbeltiere werden in drei Klassen unterteilt: Tiere die mit Sicherheit Personen sind (höhere Primaten), Tiere, die vielleicht Personen sind (niedere Primaten, höhere Wirbeltiere) und Tiere, die mit Sicherheit keine Personen sind (niedere Wirbeltiere), aber empfinden können. "Nur" empfindende Wesen (Nicht-Personen) sind anders als Personen zu behandeln, da sie keine Zukunft für sich "sehen" und damit keine Präferenz, kein Interesse an dieser haben, sie leben im Augenblick. Das Problem, dass sich dabei hinsichtlich mancher Gruppen ergibt (Säuglinge sehen sich nicht als in der Zeit stehend und haben demnach keine Präferenz), umgeht Singer mit der Argumentation, dass diese potentielle Personen sind, also mit großer Wahrscheinlichkeit Präferenzen entwickeln werden.

Gemäßigter Biozentrismus
Im gemäßigten Biozentrismus ist die gesamte belebte Natur schützenswert. Zwischen den Arten wird gemäß ihrer Entwicklungsstufe jedoch differenziert. Der Mensch ist bei dieser pyramidenhaften Anordnung über allen anderen Lebewesen zu schützen, aber bis hinunter zu den Wirbellosen und Pflanzen wird ein moralischer Status anerkannt. Einen Eingriff in das Leben der Arten wird mit zunehmender Organisationshöhe auch zunehmend schwer zu rechtfertigen. Die unbelebte Natur wird im gemäßigten Biozentrismus ausgeschlossen. Die moralisch relevanten Eigenschaften sind damit Lebendigsein, aber auch die die Höhe auf der Scala naturae.


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Ethik im Gesetz

Grundgesetz
Das deutsche Grundgesetz geht vertritt einen anthropozentrischen Ansatz. Zwar wird dem Tier mittlerweile ein Eigenwert zugestanden, dieser ist jedoch vom jeweiligen Besitzer des Tieres abhängig gemacht. Dies hat praktische Hintergründe: Wird ein Haustier, beispielsweise ein Hund "beschädigt", so würde der zu fordernde Schadensersatz an einem Sachwert (dem Neuanschaffungspreis eines gleichwertigen Hundes) bemessen. Nicht einfließen würde dadurch der emotionale Faktor, ein Schaden, der an sich mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Mit dem zugestandenen Eigenwert wird die Möglichkeit geschaffen, dem emotionalen Wert Rechnung zu tragen, welcher höher als der Sachwert liegen kann.

Tierschutzgesetz
Das Tierschutzgesetz sagt in Paragraph 1 "Niemand darf einem Tier ohne besonderen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen". Dabei handelt es sich eindeutig um eine zoozentrische Aussage. Später im Text wird diese uneingeschränkte Sicht jedoch relativiert, indem nach der Entwicklungsstufe des Tieres unterschieden wird, damit also gemäß des gemäßigten Biozentrismus Verfahren wird, dabei aber Nicht-Tiere (im Sinne des Schutzes) unerwähnt bleiben. Man könnte den dabei verfolgten ethischen Ansatz vielleicht als einen gemäßigten Zoozentrismus als Synthese dieser beiden ethischen Argumentationsweisen ansehen.


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Quellen

1) Tierversuche zum Wohle des Menschen? Ethische Aspekte des Tierversuchs unter besonderer Berücksichtigung transgener Tiere - Dr. K. Blumer (Herbert Utz Verlag, 1999)
2) Sofies Welt - Jostein Garder (Hanser Verlag, 1996)
3) Geschichte der Philosophie - Christian Helferlich (dtv-Verlag, 4. Auflage - Februar 2000)
4) Tierschutzgesetz
5) The Calvin and Hobbes Tenth Anniversary Book - Bill Waterson

 

Sönke von den Berg, März 2005


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