The Adipose Fin oder das Rätsel um die Fettflosse
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Fettflosse von Salmo sp.
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„A small fleshy fin lacking rays or spines but reinforced by actinotrichs posterior to the soft dorsal fins (rarely a hard ray or a few soft rays may be developed in the adipose fin of certain catfishes)” (Coad & McAllister 2005).
So lautet die Definition für die Fettflosse in Brian Coads und Don McAllisters „Dictionary of Ichthyology“. So weit, so gut. Aber was hat es mit dieser meist unscheinbaren „Zusatzflosse“ auf sich, wo kommt sie her und vor allem: wozu soll sie gut sein? Lokalisiert zwischen Rücken- und Schwanzflosse von Fischen diverser Arten, stellen Herkunft und Funktion dieser auch als Adipose bezeichneten Flosse bis heute ein Mysterium in der Anatomie der Fische dar. Eine Adipose kommt bei den folgenden acht Ordnungen von Knochenfischen vor: |
Ob eine Fettflosse ausgebildet wird oder nicht, kann aber in einigen dieser Ordnungen von Art zu Art variieren, so daß nicht notwendigerweise alle Vertreter der jeweiligen Ordnung auch eine Fettflosse aufweisen. Bemerkenswerter Weise können solche Unterschiede sogar zwischen eng verwandten Gruppen auftreten. Den modernsten Knochenfischen, den Acanthopterygiern, fehlt die Adipose komplett. Aufgrund ihres streng definierten Auftretens besitzt die Fettflosse einen hohen taxonomischen Wert, der es erlaubt, bestimmte Fischgruppen leicht makroskopisch zuzuordnen (Mamede et al. 2011). |
Ontogenetisch leitet sich die Fettflosse - entsprechend den übrigen medianen Flossen - höchstwahrscheinlich aus einem Rest des larvalen Flossensaumes ab. Phylogenetisch soll sie nicht mehrfach unabhängig erfunden worden sein, sondern ein plesiomorphes Merkmal darstellen (Fiedler 1991). Britz (2004) spricht in Bezug auf die Fettflosse von einer möglichen Autapomorphie der Euteleostei, deren Homologie zwischen den einzelnen Taxa jedoch als unsicher gelte. Funde fossiler Gymnotiden (Lecointre & Nelson 1976), Salmoniden (Jordan 1905) und Stomiatoiden im Besitz einer Fettflosse in Ablagerungen aus der Kreidezeit datieren ihr frühestes Auftreten ins Mesozoikum (Garstang 1931). Seitdem wurde sie beibehalten, obwohl ihr bis heute keine eindeutige Funktion zugesprochen werden konnte. Die Gründe hierfür werden ebenso kontrovers diskutiert wie die Überlegungen zu ihrem Nutzen für die betreffenden Fische. Unter anderem wurde pleiotrope Genwirkung als mögliche Erklärung für das zähe Beibehalten dieses scheinbar funktionslosen Organs angeführt (Kosswig 1965). |
Wie bereits eingangs erwähnt, befindet sich die Fettflosse auf der Dorsalseite zwischen der Rücken- und der Schwanzflosse, wobei die Meinungen auseinandergehen, ob sie die Position einer ursprünglichen ersten oder einer zweiten Rückenflosse innehat (Sandon 1956; Kosswig 1968). Nur bei einigen Fischen, so bei der Gattung Chauliodus, einem Viperfisch, kommt zusätzlich auch eine ventrale Adipose vor, welche dann vor der Afterflosse lokalisiert ist. Eine Besonderheit stellen die Zitterwelse aus der Familie Malapteruridae dar: sie besitzen nur die Fettflosse, während ihnen die eigentliche Rückenflosse fehlt. |
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Chauliodus sloani
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Malapterurus spec.
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Morphologisch betrachtet ist die Fettflosse durchweg relativ klein, unbeweglich und fleischig. Gewöhnlich fehlen größere Skelettelemente, Flossenträger (Pterygiophoren) und Muskulatur fehlen immer. Einzige Stützelemente sind die sogenannten Actinotricha, ursprünglich embryonale Stützstrahlen, die nicht mineralisieren, sowie bisweilen knorpelige Strukturen vornehmlich an der Basis der Fettflossen am Übergang zum Rumpf (Matsuoka & Iwai 1983). Selten kommen darüber hinaus Knochenstrahlen (Lepidotrichia), Stachelstrahlen oder noch seltener gar ein vollständiges Flossenskelett vor (Harder 1975). In diesen Fällen besteht dann allerdings keinerlei Verbindung zu darunter liegenden Skelettelementen wie bei den übrigen Flossen (Kosswig 1965). Als einzige Ausnahmen berichten Sandon (1956) von einem Exemplar von Synodontis membranaceus sowie Tave et al. (1990) von einem Ictalurus punctatus (bezeichnender Weise beides Welse), welche jeweils eine Fettflosse mit komplettem Flossenskelett nebst Pterygiophoren besaßen, wobei es sich in beiden Fällen aber um Abnormitäten gehandelt haben soll, deren Ursache unbestimmt blieb. |
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Flossenskelett einer Dorsale eines Teleosteers (Details)
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Grobschematische Darstellung des Aufbaus einer Fettflosse im Längsschnitt (Details)
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Die Fettflosse wird nur von Epidermis und einer darunter liegenden Dermis, nicht aber von Schuppen bedeckt. Ihre Grundsubstanz besteht aus einer amorphen Matrix lockeren Bindegewebes, welches von Kollagenfasern durchzogen und von vereinzelten kleinen Blutgefäßen versorgt wird (Kosswig 1965, Buckland-Nicks et al. 2011, Mamede et al. 2011). Der Name Fettflosse leitet sich von der ursprünglichen Annahme ab, daß sie mit Fett gefüllt sei, was allerdings nur bei wenigen Arten und auch hier nur anteilig zutrifft, so vor allem bei einigen Siluriformes wie Ictalurus melas (Weisel 1968 in Harder 1975). Die Form der Fettflosse kann, im Gegensatz zu ihrem Aufbau, deutlich variieren. So besitzen einige Welse ausgesprochen großflächige und fleischige Adiposen, während sie z.B. bei einigen Salmlern kaum wahrgenommen werden können. Hierzu trägt sicherlich auch ihre Färbung bei, die bei letztgenannten Formen farblos transparent ist. Bei anderen Formen kann sie dahingegen auch charakteristische Farben und Zeichnungen aufweisen (s. Titelbild). |
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Bagrus spec.
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Synodontis spec.
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Das Fettflossen klein sein müssen, wie es bei der Bachforelle der Fall ist, ist eine irrige Annahme.
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Große Schwierigkeiten gibt es immer noch bei den Versuchen zur Deutung des Nutzens und der Funktion der Fettflosse. Die Spekulationen zu diesem Punkt sind weitreichend. Unterstützung einer Strömungssensorik (Reimchen & Temple 2004) wurde hierbei ebenso diskutiert wie eine Beteiligung an hormonellen Steuerungen oder zusätzliche Stabilisation und Vortrieb beim larvalen Schwimmen (Gosline 1971). Bei allen Erwägungen erscheint jedoch zumindest die Annahme schlüssig, daß ein Organ nicht über einen Zeitraum von über 70 Millionen Jahren von verschiedenen Fischgruppen ausgebildet wird, wenn es völlig funktionslos sein sollte, wie Reimchen & Temple (2004) es treffend beschreiben. Dagegen sprächen in erster Linie energetische Gründe. Die Autoren führen darüber hinaus eine Reihe von Hinweisen für die Entschlüsselung möglicher Funktionen der Adipose an. Dazu zählt unter anderem die Feststellung, daß die Größe der Fettflosse innerartlich variieren kann. Diese Variation ist bei Lachsen und Forellen in einem Sexualdimorphismus der Fettflosse manifestiert, bei denen die Männchen nicht nur die gegenüber den Weibchen großflächigere Adipose aufweisen (Beachem & Murray 1986, Næsje et al. 1988), sondern darüber hinaus dominante Männchen auch größere Adiposen als untergeordnete Geschlechtsgenossen (Haugland et al. 2011). Des Weiteren scheinen sich Tendenzen dahingehend abzuzeichnen, daß bei Fischarten in Familien, denen die Fettflosse fehlt, während die übrigen Familien derselben Ordnung diese besitzen, die Position der Dorsale und die Form der Caudale deutlich gegenüber den Fettflossenträgern verändert sind. Die Rückenflosse ist in diesen Fällen caudal verlagert und die Schwanzflosse gerundet und nicht gegabelt. Dies wird gemeinhin unter hydrodynamischen Gesichtspunkten gedeutet. Reimchen & Temple (2004) testeten bei Regenbogenforellen unterschiedlicher Größenklassen die Auswirkungen einer Fettflossenamputation auf das Schwimmverhalten und konnten für den Längenbereich zwischen 7 und 12 cm eine deutliche Steigerung der Schwanzschlagamplitude nachweisen. Sie betrachten diese Ergebnisse als eine Untermauerung bereits früher aufgestellter Thesen, daß die Fettflosse als Wirbeldämpfer, ähnlich den Flösseln bei Thunfischen und Makrelen, dienen könnte. Diese Fische benutzen ihre Flössel, um damit die turbulente Strömung über die Schwanzflosse beim Schwimmen zu beeinflussen. Auf diese Weise können sie die Effektivität des Schwanzflossenschlages im Hinblick auf den erzeugten Vortrieb erhöhen. Möglicherweise erfüllt auch die in Position und Größenverhältnis zur ersten Rückenflosse mit einer Fettflosse vergleichbare kleine, zweite Rückenflosse der schnell schwimmenden Hochseehaie aus der Familie der Lamnidae (Heringshaie) eine ähnliche Funktion. |
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Thunnus thynnus
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Lamna nasus
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Darüber hinaus soll der Fettflosse (zumindest bei Salmoniden) gleichzeitig eine Funktion als Strömungssensor zukommen. Diese von o.g. Autoren aufgestellte Hypothese fordert als Konsequenz jedoch eine Innervierung dieses Organs. Eine solche konnte in der Tat jüngst von Buckland-Nicks et al. (2011) für die Adipose von Salmo trutta nachgewiesen werden. Die gefundenen Nerven liegen in Zwischenräumen des lockeren Bindegewebes und haben häufig direkten Kontakt zu den dieses Gewebe durchziehenden Kollagenfasern. Nach Ansicht der Autoren könnte hierdurch vor allem die Theorie der Strömungssensorik weitere Unterstützung erfahren. Daran anknüpfende Untersuchungen zur Reizweiterleitung und –verarbeitung könnten eventuell bestehende Zusammenhänge weiter erhellen. Im Hinblick auf eine mögliche Aufgabe der Adipose als Strömungssensor erscheint es auf den ersten Blick allerdings unschlüssig, daß auch Fischarten mit einer bewegungsarmen, bodenorientierten Lebensweise oder solche aus Stillgewässern ebenfalls Fettflossen besitzen können. Ebenfalls Reimchen und Temple (2008) verglichen 1906 Welsarten aus verschiedenen limnischen und marinen Habitaten weltweit und konnten zeigen, daß zumindest in dieser Fischgruppe jene Arten, die in einer strömungsgeprägten Umwelt leben, signifikant häufiger eine Fettflosse aufweisen als Arten aus einer strömungsärmeren Umgebung. Auch diese Befunde werden von den Autoren als eine Bekräftigung der Hypothese zur Strömungssensorik der Fettflosse interpretiert. |
Ungeachtet der weitgehenden Unkenntnis über Herkunft und Funktion der Fettflosse wird diese jedoch vom Menschen für verschiedene Zwecke herangezogen. Ihre Bedeutung für die Taxonomie wurde eingangs bereits erwähnt. Daran anschließend werden auch Finclips von Fettflossen für Markierungen in Beständen sowie in der systematischen Zoologie für Klärungen von Verwandtschaftsverhältnissen auf molekularbiologischer Ebene verwendet. In den 1980er Jahren gab es darüber hinaus sogar Überlegungen, die Fettflosse als Indikator für etwaige Schadstoffgehalte in der Muskelmasse von Speisefischen zu nutzen, um dafür nicht komplette Tiere opfern zu müssen. Dies basierte auf den Befunden einer Untersuchung von Skurdal et al. (1986), die eine hohe Korrelation in der Anreicherung von Quecksilber im Gewebe der Fettflosse und in der Muskulatur von Salmo trutta beschrieben.
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Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß das Rätsel um die Funktion der Fettflosse noch immer nicht gelöst ist. Zwar gibt es Hinweise und Tendenzen, die sich teilweise sogar in bestimmten Bereichen verdichten, aber eine endgültige, zufriedenstellende physiologische Erklärung für dieses Organ steht weiterhin aus. Auch die Frage, warum die Adipose für einige ursprüngliche Knochenfischgruppen offenbar ein Erfolgsmodell darstellte, das beizubehalten sich bis heute lohnte, sie bei den modernen Formen aber gänzlich fehlt, harrt noch einer Beantwortung. Man darf also weiterhin gespannt sein...
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