Can’t do this alone – Verdauungssymbiosen im Tierreich
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Inhalt

Das grundsätzlich Zellulose – Problem

Das chemische Problem

Primäre Zelluloseverwerter

Enzymdiebstahl

Symbiosen mit Protozoen/Bakterien

Proteine bei Zuckermangelernährung

Termiten aus BRUNE 2004

 

Das grundsätzliche Zellulose – Problem

Zellulose ist weit verbreitet in der Natur – Ebenso die Strategie, von ihr zu leben

Zellulose ist allgegenwärtig. Jährlich werden ca. 1010 Tonnen durch CO2 – Fixierung von Pflanzen gebildet. Zellulose ist Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellwand und kann auch von einigen Bakterien synthetisiert werden (z.B. Acetobacter, gram negatives α Proteobakterium). Da Zellulose nichts weiter als modifizierter Zucker ist (siehe später), liegt es nahe, dass sich verschiedene Tiergruppen darauf als Nahrung spezialisiert haben, die teilweise sogar vollständig davon leben können. Zu den Zellulosenutzern gehören Bakterien, Pilze, verschiedene Insekten (Termiten, Heuschrecken, Schaben, Käfer) und Säugetiere (Kühe, Kaninchen). Der Mensch gehört nicht dazu – obwohl er als Omnivor eigentlich auch auf Pflanzennahrung eingestellt sein müsste. Der Zelluloseverdau ist jedoch nicht so einfach, wie er von der Struktur des Stoffes her erscheint – dafür sind zum Teil besondere Strategien entwickelt worden.

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Das chemische Problem – was ist Zellulose?


Chemisch gesehen ist Zellulose ein 1,4 β Polysaccharid. Ein Zellulosemolekül besteht aus 2000 bis 20.000 Glukoseeinheiten , die zu einer Kette verbunden sind. Genauso verhält es sich mit Glykogen, dem Zuckerspeicher auch des menschlichen Körpers, den dieser jedoch offensichtlich verdauen kann. Im Gegensatz zur Zellulose sind bei Glykogen jedoch die Zuckerbindungen in α 1,4 Konfiguration. In der β Konfiguration (siehe Abbildung) können mehr Wasserstoffbrückenbindungen zwischen a) den einzelnen (Monomeren) Glukosemolekülen und b) unterschiedlichen Celluloseketten ausgebildet werden. Dieser Umstand macht Zellulose mechanisch stabiler und vor allem schwerer angreifbar für Hydrolasen als die α Polysaccharide.
Das liegt desweiteren auch daran, dass zwischen den Zellulosefasern teilweise Abstände von weniger als 100 Angström (= der Durchmesser von 100 Wasserstoffatomen) liegen.
Enzyme, die in der Lage sind, Zellulose zu hydrolysieren (durch Wasserangriff zu spalten) nennt man Zellulasen (oder, enzymnomenklatorisch korrekt β - 1,4-glucan, 4-glucanohydrolasen).
Zellulasen produzieren in erster Instanz Oligomere (kurzkettige Zelluloseketten bis hin zum Dimer, das man Zellobiose nennt). Die Endumsetzung zur Glukose erledigen die Enzyme β Glucosidase bzw. Zellobiose -Phosphorylase.
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Primäre Zelluloseverwerter
Nur wenige Organismen können Zellulose direkt verwenden. Dazu gehören in erster Linie Bakterien (z.B. Clostridien, Actinomyceten, Cytophaga), Pilze (Ascomyceten, Basidiomyceten und Fungi imperfecti) und Protozooen. Auch bei höheren Tieren hat sich jedoch diese Fähigkeit teilweise entwickelt. Orthopteren („Grashüpfer“) besitzen in ihrem Verdauungstrakt Zellulasen, die jedoch die Zellulose nicht bis zur Glukose zersetzen sondern nur dem Zellaufschluss dienen. „Silberfischchen“ (Lepisma spp.) haben körpereigene Zellulasen und könne Zellulose bis zum Monomer verdauen.
Höhere Termiten (Termitidae) können bis auf eine Ausnahme (siehe „Enzymdiebstahl“) Zellulose bis zur Glukose aufspalten, niedere Termiten dagegen sind wie die meisten anderen Tiere, die von Zellulose leben, auf die Aktivität von Symbionten angewiesen (siehe jedoch BRUNE 2004, hier wird diese Theorie angezweifelt). Hierauf wird im Folgenden näher eingegangen werden.
Skizze Termiten (Quelle: Biodidac)
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Enzymdiebstahl

Es gibt verschiedene Symbiosevarianten. Eine Form, die bei den höheren Termiten der Unterfamilie Macrotermitinae beobachtet werden kann, ist die Anlage eines Pilzgartens (mit den Pilzen Termitomyces spp., ein Basidiomycet) im Bau. Die Termiten fressen immer kleine Mengen der Pilzkonidiophoren (die Zellulasen enthalten) zusammen mit ihrer zellulosehaltigen Nahrung. Die Verdauung findet somit durch exogene (von außen zugeführte) Zellulasen statt. Ähnliche Pilzgärten legen die berühmten Blattschneideameisen an, bei denen jedoch das Pilzmycel als Nahrung aufgenommen wird.

Die Larven von manchen Cerambyciden (Bockkäfern) züchten zwar keine Pilze, nehmen diese jedoch zusammen mit ihrer zellulosehaltigen Nahrung auf und besitzen dazu die Fähigkeit, Pilzzellulasen selektiv in ihrem Verdauungstrakt aufzukonzentrieren. Eine ähnliche Strategie ist auch von einigen Hymenopterenlarven (Hautflügler) bekannt. Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass diese Strategie mittlerweile angezweifelt wird (siehe BRUNE 2004). Es ist möglich, dass mehr Tiere in der Lage sind, endogene Zellulasen zu produzieren, als bislang angenommen.

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Symbiosen mit Protozoen/Bakterien

 

Die zweite Symbiosevariante ist das Beherbergen von Endosymbionten.

Die niederen Termiten beherbergen unter anderem das Protozoon Trichonympha in ihrem sackartig verbreiterten Enddarm, das, im Zusammenspiel mit einer recht komplexen Mikroflora, die nötigen Enzyme bereitstellt und Zellulose direkt bis zum Acetat bzw. anderen kurzkettigen Fettsäuren abbaut (welche dann von den Termiten in den Energiestoffwechsel eingeschleust werden). Dabei hat der Endosymbiont seinerseits wiederum Endosymbionten, Bakterien nämlich, deren Rolle noch nicht gut verstanden ist, sowie Ectosymbionten, z.B. Spirillenbakterien, die für die Motilität und Chemotaxis der Protozoen eine wichtige Rolle spielen. Desweiteren befinden sich im Termitendarm methanogene Archaen.

Termitendarm-Schema aus BRUNE 2004
Sehr ähnlich sieht es bei den Rindern aus. Im Pansen befindet sich eine sehr große Ansammlung an Protozoen und Bakterien, die zum Teil so bezeichnende Namen wie „Ruminococcus“ haben. Ihnen allen gemein ist die Vorliebe für ein anaerobes Milieu, welches im Pansen herrscht.
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Woher kommen Proteine bei Zuckermangelernährung?

Nahrung wird mittelbar oder unmittelbar entweder zur Energiegewinnung oder zum Aufbau von Körpermasse aufgenommen. Das Endprodukt des Zelluloseverdaus ist Glukose (bzw. daraus entstehende, kurzkettige Fettsäuren), die fast ausschließlich zur Energiegewinnung (Glykolyse, Zitratzyklus, Atmungskette, Gärungen) verwendet werden kann. Zwar können auch nicht – essentielle Fettsäuren aus Abbauprodukten der Glukose synthetisiert werden. Desweiteren können aus dem Zitratzyklus Vorläuferstoffe für die Biosynthese von Aminosäuren bezogen werden; das ist alles jedoch erstens energetisch sehr aufwendig und umgeht zweitens nicht die Hauptlimitation eines reinen Zuckerverwerters; den Stickstoff nämlich. Stickstoff ist in Form von NH3 essentieller Baustein von Aminosäuren, welche wiederum essentiell für den Aufbau von Körpermasse sind. (Aus diesem Grund werden z.B. junge Kolibris - als Adulte ausschließliche Nektarfresser - mit Insektennahrung großgezogen). Die Lösung dieses Problems liegt in der Fähigkeit vieler Bakterien, Luftstickstoff zu fixieren, d.h. unter enormem Energieverbrauch (16 bis 24 ATP pro Stickstoffmolekül) zum NH3 zu reduzieren.

Dieser Umstand erklärt zwei bekannte Phänomene im Tierreich: Das Fressen des Blinddarmkotes bei Kaninchen (Koprophagie, die auch bei Termiten aus dem gleichen Grund verbreitet ist) und das Wiederkäuen der Rinder.

Bei Kaninchen sitzen die zelluloseverdauenden Bakterien in einem schlauchartig verlängerten Blinddarm, also hinter dem eigentlichen Verdauungstrakt. Um die aufgeschlossene Zellulose und auch Proteine und Vitamine von den Bakterien nutzen zu können, muss die vorverdaute Nahrung aus dem Blinddarm erneut aufgenommen werden.

Bei der Kuh ist der Pansen die größte Gärkammer. Ähnlich den Vorgängen bei den Kaninchen wird die Nahrung (inkl. teilweise aufgeschlossenen Pflanzenzellen und Bakterien) erst wieder hervorgewürgt und noch einmal gekaut, um dann nach Abschlucken im eigentlichen Magentrakt zu landen.

Bei Termiten tritt nicht nur Koprophagie auf, sondern auch die Weitergabe von Kot an andere Mitglieder des Sozialstaatees (proctodeale Trophallaxis). Dadurch wird z.B. der mit dem Kot abgegebene Harnstoff bzw. Harnsäure von anderen Individuen aufgenommen, was zu einem „alstruistischen Stickstoffrecycling“ führt, um in der ohnehin stickstoffarmen Umgebung so wenig wie möglich zu verlieren.

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Quellen

Brune, A. (2004): Mikrobielle Ökologie des Termitendarms: http://www.mpg.de/bilderBerichteDokumente/dokumentation/jahrbuch/2004/terrest_
mikrobiologie/forschungsSchwerpunkt/

Madigan et al. (2004): Brock – Biology of Microorganisms

Norkrans, B. (1963): Degradation of cellulose, Annual Reviews of Phytopathology, 1: 325 – 50
Terra, R.W. (1990): Evolution of insect digestive systems, Annual Reviews of Entomology, 35: 181 – 200
Fotos
Termite mit Darm Brock: Brock – Biology of Microorganisms
Cellulose_hydrogen bonding.bmp: Verändert nach http://www.steve.gb.com/images/molecules/sugars/cellulose_(hydrogen_bonding).png
Research cellulose 50(copy).jpg: Verändert nach http://woodscience.oregonstate.edu/images/Research_Cellulose(50).jpg

Termiten biodidac.gif: http://biodidac.bio.uottawa.ca/

 

Tobias Dörr, September 2005


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