Teil 2/2
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Phyllostomidae oder die Neuwelt-Blattnasen
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Teil 1: Allgemeines und Habitus - Teil 2: Ernährung und Anpassung, Orientierung und Kommunikation, Verhalten
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Reich |
Animalia |
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Stamm | Chordata (Wirbeltiere) | |
Klasse | Mammalia (Säuger) | |
Ordnung | Chiroptera (Fledertiere) | |
Unterordnung | Microchiroptera (Fledermäuse) | |
Familie | Phyllostomidae (Neuwelt-Blattnasen) | |
Maße | Kopf- und Körperlänge: von 40 - 135 mm Unterarmlänge: 31 - 105 mm Schwanzlänge: 0 oder 4 - 55 mm |
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Vorkommen | südliche Teile Nordamerikas und ganz Südamerika | |
Schutzstatus | Laut redlist.org sind vier Arten gefährdet und eine ausgestorben. Die meisten anderen anderen der 149 gelisteten Arten werden in die Kategorie "Lower Risk" eingeordnet. | |
Bild rechts: Männliche Phyllostomus discolor im Flug (S. von den Berg)
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Die erschlossenen Nahrungsquellen in der Familie der Neuwelt-Blattnasen sind sehr divers und umschließen generellle carnivore, insektivore, frugivore Lebensweisen wie auch Spezialisten, so etwa Nektar- und Blutsauger. Die einzelnen Nahrungsweisen bringen diverse anatomische Anpassungen mit sich. So haben die Nektar-fressenden Glossophaginae eine lange Zunge und Schnauze. Außerdem sind sie, ähnlich den Kolibris, fähig, in der Luft vor den Blüten im Schwebflug zu verharren, während sie fressen. Viele Pflanzen sind zudem im Laufe einer Koevolution speziell an die Bestäubung und/oder die Verbreitung durch Fledermäuse angepasst, sogenannte Chiropterophilie, bzw. Chiropterochorie. Unlängst konnte beispielsweise an einer "Flower bat" aus der Gattung der Phyllostomidae gezeigt werden, dass die Tiere zwar an sich farbenblind sind. Für den Bereich des Lichtes, der von den Blüten mancher Pflanzen des nachts reflektiert wird, war diese Fledermausart, Glossophaga soricina jedoch empfänglich. Dieser Bereich liegt mit einer Wellenlänge von ca. 310 nm im ultravioletten Licht (Winter et al. 2002). Die Desmodontinae umfasst die Gruppe der Arten, die den Fledermäusen ihren schlechten Ruf eingebracht haben, den "Vampiren". Ihre Verbreitung reicht jedoch mitnichten bis nach Transilvanien, vielmehr ist ihr Vorkommen auf Südamerika beschränkt. Faszinierend sind die anatomischen Anpassungen an ihre Nahrungsquelle: eine speziell angepasste Zunge welche das Blut durch Kapilarkräfte lateral und unter der Zunge aufnimmt, scharfe Zähne zum Anritzen der Haut des Opfers, ein Lokalanästetikum damit evt. Schmerzen die Beute nicht aufschrecken und ein blutgerinnungshemmendes Enzym (DSPA: Desmodus rotundus salivary plasminogen activator; wird mittlerweile auch in der Medzin in der Schlaganfall-Therapie erprobt, siehe z.B. hier) zur unproblematischen Nahrungsaufnahme. Dabei müssen Vampirfledermäuse (Desmodus rotundus) täglich ca. 20 ml Blut aufnehmen - ca. die Hälfte des eigenen Körpergewichts. Schon nach zwei erfolglosen Nächten drohen die Tiere zu verhungern. Um ein Verhungern zu verhindern, kommt es hier zu einer sehr interessanten Verhaltensweise: Die hungrigen Tiere "betteln" ihre erfolgreichen Artgenossen um Nahrung an, die wiederum etwas von ihrer Beute "spenden", sie würgen einen Teil der Blutmahlzeit wieder hervor und füttern damit die hungernden Tiere. Voraussetzung ist, dass sich die Tiere gegenseitig kennen. Dieses Verhalten wird als "reziproker Altruismus" bezeichnet. Erklärt wird die Verhaltensweise damit, dass die Spender davon ausgehen, bei eigenem Mangel ebenfalls von anderen Tieren der Kolonie unterstützt zu werden. Der Spender "verliert" dabei ca. sechs Stunden bis zum eigenen Hungertod, der Empfänger gewinnt hingegen ca. 18 Stunden (Wilkinson 1988). Diese Anpassungen an Nahrungsquellen, die bei den oben genannten Spezialisten zutage tritt, sind Beispiele der großen Bandbreite innerhalb einer einzigen Familie. Es gibt jedoch auch ausgesprochene Generalisten, bzw. Opportunisten, wie die Kleine Lanzennase Phyllostomus discolor, die je nach vorhandenem Angebot Früchten, Pollen, Nektar, Insekten, Amphibien und sogar Kleinsäuger auf dem Nahrungsplan stehen hat. Das Gebiss dieser Art entspricht dem typischen Insectivoren-Gebiss mit ausgeprägten Canini und spitzen Prämolaren und Molaren (s. hier). Die Nahrungssuche wird häufig mittels der Echoortung durchgeführt, doch auch der olfaktorische und visuelle Sinn wird verwendet. Dabei gibt es solitär suchende Arten wie auch in Gruppen jagende, teilweise mit stets wiederkehrenden Mustern auf den nächtlichen Rundflügen. |
Im Zentrum der Lebensweise von Fledermäusen steht die Akustik. Sowohl die Nahrungssuche wie auch die bei vielen Arten sehr vielfältige und komplexe Kommunikation (Bradbury 1977)läuft zu großen Teilen über den akustischen Kanal ab. Bei einigen Arten sind die sozialen Laute gut untersucht. Zudem konnte bei Phyllostomus discolor sowohl audio-vokales Lernen (Esser 1994) als auch die Ausprägung von Dialekten nachgewiesen werden (Esser & Schubert 1998), die beispielsweise bei geographisch voneinander getrennten Teilpopulationen der Art vorkommt. |
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Die Ortungslaute, die zur Orientierung verwendet werden, unterscheiden sich in Dauer, Frequenzgehalt (CF = constant frequency = konstante Frequenz oder FM = frequency modulation = modulierte Frequenz) und Amplitude. Dabei sind hohe Frequenzen nötig, da räumliche Auflösung wellenlängenabhängig ist, d.h. höhere Frequenzen lassen sich besser fokussieren als tiefere.
Dementsprechend werden anhand der bei der Ortung verwendeten Rufe FM und CF-FM Arten bei den Microchiropteren unterschieden, wobei die unterschiedlichen Laute eine Anpassung an das Habitat und damit den bevorzugten Jagdmodus darstellen. Tiere, die vor allem am Boden jagen (z.B. Megaderma lyra, zu den Megadermatidae gehörend) benutzen ausschließlich FM-Laute und verlassen sich teilweise zusätzlich auf die passive Ortung von Beutetiere, d.h. das Lauschen auf von der Beute hervorgerufene Geräusche, sogenanntes "gleaning". Tiere, die in der Nähe von Bewuchs jagen, benutzen FM-Laute. Im offenen Luftraum werden CF-FM-Laute in der Orientierungsphase eingesetzt. Phyllostomidae nutzen zur Echoortung FM-Laute. |
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Verschiedene Harems in einer Kolonie von P. discolor an der TiHo Hannover
(S. von den Berg) |
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Zur Unterscheidung der Oberflächen nutzen Fledermäuse die "Rauhigkeit" der Oberfläche. Je feiner die Oberfläche, desto "weicher" werden die reflektierten Echos. So lassen sich beispielsweise anhand der Reflexionen von den Blättern verschiedene Baumarten voneinander unterscheiden (Grunwald et al. 2004).
Die Soziallaute finden in vielerlei Kontext Verwendung und reichen in ihrer Komplexität an nichtmenschliche Primaten heran. Beispielsweise werd bei der Annäherung an das eigene oder fremde Harem (siehe Bild rechts oben und Text unten) verschiedene Laute ausgesendet. Besonders gut untersucht ist die Kommunikation zwischen Jungtier und Mutter (Esser 1994). |
Fledermäuse sind gesellige Tiere. Es wurden schon Ansammlungen von vielen tausend Tieren in Höhlensystemen gefunden. Viele Arten leben über Jahre in festen Gemeinschaften in Höhlen. Dabei bilden sich meist kleine Untergruppen der Kolonie, sogenannte Harems (siehe Bild oben). Oft trifft man auf Harems aus einem Männchen und mehreren Weibchen und auf Junggesellengruppen bestehend aus jüngeren Männchen. Die Stellung des Haremsherrn ist umkämpft, zwischen den Weibchen der einzelnen Harems kann es regelmäßige Fluktuationen geben. Der Nachwuchs besteht für gewöhnlich aus nur einem Jungtier pro Jahr. Dabei werden Fledermäuse für Kleinsäuger jedoch verhältnismäßig alt, zumeist älter als zehn Jahre. |
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Die Jungtiere werden anfangs am Körper der Mutter hängend sogar mit auf die Nahrungssuche genommen. Dabei krallt sich das Jungtier mit den Füßen im Fell der Mutter fest. Die Mamillen der Muttertiere sind stark ausgebildet und müssen recht schmerzunempfindlich sein, da die Jungtiere sich in ihnen verbeissen und so zusätzlich Halt gewinnen. Ist das Junge etwas älter, verbleibt es im Wochenquartier.
Bei älteren Jungtieren kann das Trainieren der Flugbewegungen beobachtet werden, bevor diese zum ersten Mal selbst fliegen. Dazu werden hängend die Flügel geschlagen, der Hangplatz jedoch nicht verlassen. In seltenen Fällen kann es zum Infantizid kommen, vor allem in Stresssituationen wie Nahrungsmangel. Aus Zuchten gibt es zudem Berichte, dass Tiere, die zu häufig mit tierischem Protein (beispielsweise in Form von Mehlwürmern) gefüttert wurden, eine Art Heißhunger auf Fleisch bekommen und dabei auch nicht vor Jungtieren zurückschrecken. |
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Bild links: Weibliche P. discolor mit ca. 14 Tage altem Jungtier in der Zucht der TiHo Hannover (S. von den Berg) |
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