Teil 4/4 |
Leben im Mulm oder das Aquarium „von unten“
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Nahrungsbeziehungen, Sonstige "Gäste", Herkunft, Unterschiede, Schlußbemerkungen
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"Mulm (mnd. mul, „zerfallende Erde, Staub“; siehe Mull) ist ein Sediment aus organischem Material, zum größten Teil bestehend aus Bakterien, Mineralien, Pflanzenresten und Stoffwechselendprodukten." Wikipedia |
Die nachfolgende Abbildung soll die Beziehungen, die sich zwischen den im Mulm gefundenen Organismen ergeben, noch einmal schematisch darstellen. Die dabei wiedergegebenen Beziehungen stellen zwar generelle Aspekte dar, dennoch beschreiben sie in diesem Fall nur die spezielle, vor Ort vorgefundene Situation. Das Schema ist sowohl im Hinblick auf die Beziehungen als auch auf die Gruppen unvollständig und kann durch hinzukommende Gruppen und Ernährungsweisen, die sich dann in dieses Gefüge eingliedern, problemlos ergänzt werden. |
Eine Tierklasse, die in der obigen Aufstellung vollkommen fehlt, ist die der Krebstiere (Crustacea), was dem einen oder anderen bereits aufgefallen sein mag. Dennoch läßt sich ihre Abwesenheit durchaus schlüssig erläutern: zum einen sind selbst Kleinkrebse häufig schon in einem Größenbereich, in welchem sie für Fische als Beuteorganismus nicht nur zunächst mal überhaupt wahrgenommen werden können, sondern auch in Frage kommen. Zum anderen haben solche Tiere teilweise schon deutlich über das in Aquarien erfüllbare Maß hinausgehende Ansprüche an verfügbare Nahrungsmengen. Daß filtrierende Cladoceren (Wasserflöhe) als Arten des Freiwassers im Mulm nicht oder nur durch Zufall anzutreffen sein werden, ist nicht weiter verwunderlich. Ohne eine ständige Phytoplanktonentwicklung oder –zufütterung sind sie im Durchschnittsaquarium ohnedies nicht dauerhaft haltbar. Aber auch räuberische Kleinkrebse, wie Ostracoden (Muschelschaler) oder Copepoden (Hüpferlinge), die durchaus mit den im Mulm vorgefundenen Beuteorganismen ihr Auskommen finden könnten, sind häufig nur temporäre Gäste in den Aquarien. Besonders dann, wenn auch bei ihnen die Nahrung irgendwann knapp wird, zum Beispiel in zu sauberen Becken. Dennoch halten sich vor allem Copepoden in manchen Fällen auch dauerhaft und schaffen es, eine stabile Population aufzubauen. |
Abgesehen von allem anderen stellt sich aber noch eine zentrale Frage: Wie kommen diese vielen verschiedenen Lebewesen überhaupt ins Aquarium? Die Antwort ist so simpel wie einleuchtend: durch Verschleppung. Ihr Eintreffen kann im Grunde gar nicht vermieden werden. Sie befinden sich auf und in Pflanzen, auf oder in Fischen, in eingebrachtem natürlichem Dekorationsmaterial, sie erreichen unsere Aquarien durch Fremdwasser, durch benutztes Bodengrund- und Filtermaterial, sogar durch Verbreitung von Sporen in der Luft, aber am allerbesten: durch Lebendfutter. Auch mit abgepacktem Lebendfutter aus dem Fachhandel, aber vor allem ist Tümpelfutter die beste Möglichkeit, sein Aquarium (versehentlich) mit allerlei nützlichen und sonstigen „Gästen“ anzuimpfen. Diejenigen, die eine Nische zum Überleben finden, werden umgehend ihre Arbeit aufnehmen und sich im Aquarium etablieren, der Rest wird irgendwann wieder verschwunden sein. Daß dabei allerdings unter Umständen auch ungebetene, möglicherweise fischpathogene Organismen eingebracht werden können, gehört wohl zum kleinen Einmaleins der Aquaristik und ist hinlänglich bekannt. |
Das Artenspektrum, welches sich schließlich ansiedelt, wird dabei in vielen Fällen ein unvermeidliches buntes Gemisch aus fremden und heimischen Arten darstellen, was eine Artbestimmung zu einer Sisyphusarbeit machen kann. Aber die übergeordneten Gruppen entsprechen sich hier wie dort, erfüllen dieselben Funktionen und lassen sich in der Regel leicht ermitteln. Hinzu kommt, daß viele Formen eine ubiquitäre Verbreitung erlangt haben. Unterschiede in der Besiedlung des Mulms werden sich einerseits je nach Milieufaktoren (Sauerstoff, Nährstoffe, pH etc.), andereseits auch je nach Beckentyp und den darin gehaltenen Fischarten ergeben. Die beschriebene Mikroflora und –fauna fand sich in einem Raubfischbecken mit mehr oder weniger großen Fischen (Flösselhechte) darin. Diese nehmen auch von größeren Mikroorganismen kaum Notiz und üben deshalb keinen Fraßdruck aus. Die Zönose kann sich somit weitgehend frei entfalten. Ein zum Vergleich überprüftes Aquarium mit Kleinfischen (kleine Barsche, Lebendgebärende, Salmler) zeigte ein deutlich anderes Bild: die Artenzahl war deutlich geringer und in Richtung auf allerkleinste Formen verschoben. Erst in unzugänglichen Bereichen wie im Boden, unter Wurzeln und im Filter fanden sich auch größere, vor allem wurmförmige Arten. |
Abschließend seien mir noch ein paar Bemerkungen zum Mulm in Aquarien per se gestattet. So taucht immer wieder die Frage auf, ob Mulm nun entfernt werden solle oder nicht. Dies ist meines Erachtens zunächst einmal abhängig vom Beckentyp an sich. In einem Quarantäne- oder einem Aufzucht- oder Hälterungsaquarium von Arten, die aus sehr keimarmen Gewässern stammen und womöglich auf solche Verhältnisse angewiesen sind, sollte auf Mulmansammlungen eventuell verzichtet werden. Des weiteren kommt es auf die Menge des Stoffumsatzes im Becken an. In Aquarien, in denen in sehr kurzer Zeit sehr viel Mulm anfällt (durch massive Fütterung, hoch eingeregeltes Pflanzenwachstum), kann sicherlich nicht alles im Becken verbleiben, die Fracht wäre binnen kurzem viel zu hoch. Von diesen Extremfällen einmal abgesehen scheint es, als könnte eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufgestellt werden. |
Mit einem herzlichen Dank an Sönke und Christiane von den Berg sowie an Armin Blöchl, die einen wesentlichen Beitrag zum Zustandekommen dieses Artikels geleistet haben. Arne Hübner, Dezember 2007 - Januar 2008 |
Den Anfang der Serie bildete eine Einleitung und kurze Abhandlungen über Bacteria, Blaualgen, Kieselalgen und Augenflagellaten. |
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Alle Abbildungen und Skizzen wurden erstellt von Arne Hübner. Die Proben entstammen den privaten Aquarien. Die Aufnahmen entstanden an einem Zeiss Mikroskop mit einer Nikon Coolpix. |
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Teil 1: Teil 2: Teil 3: |