Ornithorhynchus anatinus oder das Schnabeltier

Stamm Chordata (Chordatiere)


Ornithorhynchus anatinus

Klasse Mammalia (Säugetiere)
Unterklasse Prototheria (Ursäuger)
Ordnung Monotremata (Kloakentiere)
Familie Ornithorhynchidae (Schnabeltiere)
Größe

Körperlänge: 40-60 cm

Vorkommen

In fließenden und stehenden Gewässern Ostaustraliens. Ihre Wohngewässer haben sehr unterschiedliche Temperaturen: von Gefrierpunktnähe (in den australischen Alpen) bis zu subtropischer Wärme (im nördlichen Verbreitungsgebiet).

Besonderheiten

Ein Schnabeltier weist zahlreiche Merkmale auf (Eiablage, Schultergürtel, fehlende Zitzen, Form der Geschlechtsorgane) die es von der Masse der höher entwickelten Säugetiere deutlich unterscheidet. Es verfügt über ein dichtes Fell, das besser isoliert als das eines Eisbären. Besonders auffällig und namensgebend ist der gummiartige, entenähnliche Schnabel. Obwohl es Milchdrüsen hat und seine Jungen säugt, ist das Schnabeltier nicht lebendgebärend, sondern legt Eier. Diese werden - anders als bei Ameisenigeln, der anderen Gruppe eierlegender Säugetiere - nicht in einer Bruttasche, sondern außerhalb des Körpers ausgebrütet.

Die Männchen tragen an den Hinterextremitäten einen hohlen Giftsporn, welcher bei Bedarf ein Gemisch aus vier Giften freisetzt. Dieses ist so stark, daß es für Lebewesen bis zu der Größe von Hunden tödlich ist und bei Menschen qualvolle Schmerzen hervorruft, die wochenlang anhalten können.

Schutzstatus streng geschützt

 

Anatomische und morphologische Besonderheiten

Die Fossilgeschichte der Monotremata ist fast völlig unbekannt. Und dennoch kann man sie wie Darwin durchaus als "lebende Fossilien" bezeichnen, denn sie zeigen Merkmale, die ein ursprüngliches Entwicklungsniveau repräsentieren, das die Säugetiere in der Zeit des Mesozoikums einmal durchlaufen haben müssen. Das heute lebende Platypus kann trotz aller Spezialanpassungen als Modell eines ehemaligen Evolutionsstadiums der Säugetiere betrachtet werden.
Schnabeltiere leben amphibisch, sind nachtaktiv und ernähren sich von Würmern, Insektenlarven und Süßwasserkrabben. Sie erreichen Größen zwischen 40 und 60 cm bei einem Körpergewicht von 1-2 Kg. Wie die Otter haben sei ein warmes, dichtes Fell, das sie beim Tauchen in den kalten Gebirgsbächen Ostaustraliens warm hält. Dieser Pelz soll besser isolieren als das dichte Fell des Eisbären. Am Ende dient der dicke Schwanz nicht nur zum Schwimmen, sondern auch.

Der namensgebende Schnabel ist mit Rezeptoren für elektrische Reize ausgestattet. Das hilft dem Schnabeltier beim Aufspüren der Beute, da damit die elektrischen Felder jeglicher Muskelaktivität wahrgenommen werden können. Viele der äußeren Merkmale des Schnabeltiers sind tatsächlich Anpassungen an sein Leben als Süsswasserraubtier. Die Pfoten an den kurzen, aber kräftigen Beinen sind mit Schwimmhäuten versehen. Augen, Ohren und Nasenlöcher werden unter Wasser geschlossen. An Land werden die Schwimmhäute der Vorderfüße zurückgezogen, dann kommen die großen Krallen an den Zehen zum Einsatz, die beim Graben der Höhlen gebraucht werden.


Habitus

 


Das Skelett vereint Merkmale von Amphibien und Säugern


An den Hinterextremitäten tragen die Männchen Giftsporne


Jagdverhalten und Ernährung

Ornithorhynchus ist überwiegend nachtaktiv und einzelgängerisch. In seinem Verbreitungsgebiet ist es an stehende und Fließgewässer gebunden. Dort taucht es nach bodenlebenden wirbellosen Kleintieren wie Insektenlarven, Süßwasser-Krabben und Muscheln. Tagsüber zieht es sich in seinen am Ufer gegrabenen Bau zurück.

Die Fähigkeit des Schnabeltiers, seine Beute im trüben Wasser aufzuspüren und dabei jeglichem Hindernis auszuweichen, ist wirklich bemerkenswert. Denn während der rund anderthalb Minuten unter Wasser ist es praktisch völlig von der Außenwelt abgeschnitten: Seine Augen und Ohren liegen in Vertiefungen verborgen, deren Ränder sich durch Muskelkontraktion darüber dicht schließen, und selbst die Nasenöffnungen am vorderen Ende des Oberschnabels sind abgeschottet.
Ornithorhynchus verfügt in seinem Schnabel über eine große Anzahl von Sinneszellen, die inzwischen in zwei Gruppen eingeteilt wurden: berührungsempfindliche Mechanorezeptoren im Bereich einer stößelartigen Struktur sowie auf schwache elektrische Felder ansprechende Elektrorezeptoren im Bereich von Drüsenkanälen. Versuche zeigten, daß ein auf Futtersuche umherschwimmendes Schnabeltier seinen Schnabel regelmäßig zwei- bis dreimal pro Sekunde hin- und herschwingt, bis es bei seiner Patrouille Beute wahrnimmt. Dann schaltet es auf ein Suchverhalten um, bei dem es seinen Schnabel ziellos über einen kleinen Bereich am Grund bewegt, bis das Objekt genau ausgemacht ist und mit einem raschen Zuschnappen gepackt werden kann.

Das Tier verfügt über eine Elektroortung, wie man sie auch bei gewissen Knorpel- und Knochenfischen findet. Süßwasserkrabben (und andere wirbellose Beutetiere) erzeugen mit Muskelkontraktionen, z.B. ihren Schwanzschlägen - genauer durch ihre Muskelpotentiale - schwache elektrische Felder, die die Schnabeltiere wahrnehmen und verfolgen können.

Während der Jagd unter Wasser sind Augen-, Ohren- und Nasen-
öffnungen geschlossen.

Fortpflanzung und Verhalten

Ein Schnabeltier kann bis zu zwölf Jahre alt werden. Es pflanzt sich bis ins hohe Alter fort (auch mindestens elf Jahre alte Weibchen säugen noch Junge) und bringt die meiste Zeit seines Lebens am selben Gewässer zu.

Die Brunstzeit setzt im australischen Spätherbst ein. Im Sommer und im frühen Herbst sind die Fortpflanzungsorgane bei beiden Geschlechtern klein und inaktiv. Im Mai, Juni und Juli beginnen die Keimdrüsen sich zu vergrößern und Hormone auszuscheiden. Zur selben Zeit verändert sich das Verhalten der Männchen deutlich: Sie werden aggressiv und kämpfen häufig untereinander.
Jedes Männchen trägt einen bis zu 1,5 Zentimeter langen, hohlen Hornsporn am Hinterfuß, der ein starkes Gift enthält (Bild 3). Diese scharfen, nach innen gerichteten Sporne werden beim Kampf mit Geschlechtsgenossen eingesetzt und könnten, eine wichtige Rolle bei der Sicherung eines Territoriums oder beim Kampf um Weibchen spielen. Das Gift wird in einer eigenen Drüse, der Oberschenkel- oder Cruraldrüse, produziert. Im August, wenn die Entwicklung der Drüse und die Produktion von Spermien ihren Höhepunkt erreicht haben, sind auch die Männchen am aggressivsten.

Zur Paarungszeit baut das Weibchen ein Nest aus trockenem Gras oder Blättern. Beim Nestbau wird der breite Schwanz wie ein Greifschwanz benutzt. Er ist beweglich genug, um sich um eine Handvoll Laub, Moos oder Zweige zusammenrollen zu können, die so in die Höhlen im steilen Ufer transportiert werden.
Die Paarung findet nach einem mehrere Tage andauernden Balzritual statt.Im Moment der Befruchtung entscheidet sich das künftige Geschlecht. Das Männchen ist heterogametisch, das heißt, es produziert zwei Sorten von Spermien: Die eine trägt ein Y-, die andere ein X-Chromosom. (Beim Menschen ist das genauso; nach Befruchtung mit einem Y-haltigen Spermium wird das Kind ein Junge, sonst ein Mädchen.)
Danach werden ein bis drei, meist sind es aber zwei, dotterreiche Eier von zunächst nur 4 bis 4,5 Millimeter Durchmesser in den linken Eierleiter freigesetzt, wo sie von den Spermien des Männchens befruchtet werden. Der rechte Eierstock des Schnabeltier-Weibchens ist funktionslos. Nach einer Tragzeit, die vermutlich 20 Tage beträgt, legt das Weibchen die erbsengroßen Eier in einer Bruthöhle ab, die am Ende eines bis zu 12 m langen Ganges liegen kann. Die schlüpfenden Jungen sind nur ca. 1,25 cm groß und völlig hilflos. Sie verfügen über gut entwickelte Vorder- und nur ansatzweise entwickelte Hinterbeine, wie es für Monotremata typisch ist und leben bis zum Alter von fünf Monaten von der Muttermilch. Hier saugen sie Milch aus den beiden Milchfeldern, die - anders als Zitzen - von Fell bedeckt sind, im Inneren jedoch strukturell der menschlichen Brustwarze ähneln.
Die Milch wird von einem Paar außerordentlich großer Milchdrüsen produziert: Bei einem durchschnittlich großen Weibchen von 43 Zentimetern Gesamtlänge können die aktiven Milchdrüsen 13,5 Zentimeter lang sein, das ist fast ein Drittel der Gesamtlänge.


Frontal

 

 

 


Bruthöhle

 


Viele Fragen über das Schnabeltier und seine Lebensweise bleiben noch offen. Die Untersuchungen werden auf verschiedenen Gebieten fortgesetzt. Doch ist heute schon klar, daß das Schnabeltier - trotz seiner altertümlichen Kombination von Reptilienund Säugetiermerkmalen - eine hochspezialisierte Art ist, die sich gut an ihre amphibische Lebensweise in den Gewässern Ostaustraliens angepaßt hat.

 

Zum Weiterlesen:

Das Schnabeltier


 

Christiane Pech, Januar 2004