Osedax spp. oder die "Knochenfresser"
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Reich Animalia
Abteilung/Stamm Annelida
Klasse Polychaeta
Ordnung Canalipalpata
Familie Siboglinidae
Maße Länge ♀: 2-7cm - Länge ♂: ~200µm
Vorkommen Geographische Verbreitung unbekannt
Besonderheiten Lebensgrundlage: Wahlkadaver in der Tiefsee
Fundort Monterey Bay, Californien (USA)
Schutzstatus bisher nicht geschützt (Stand 08.2004)
Quelle

 

Einleitung
Die Ordnung der Wale (Cetacea) besteht aus 78 tw. sehr verschiedenen Arten. Die größte Walart (und lebende Tierart überhaupt), der Blauwal (Balaenoptera musculus), kommt auf ein Lebendgewicht von über 130 Tonnen bei bis zu 33m Länge. Die Lebensdauer ist sehr unterschiedlich, von wenig mehr als einer Dekade bis über 200 Jahre (Grönlandwale). Zwar hat die Anzahl der Wale in den Meeren seit dem Beginn des Walfangs stark nachgelassen (Blauwale: von über 200.000 auf knapp über 2000), doch ist dieser Zeitabschnitt aus evolutionärer Sicht minimal. Es war also ausreichend Zeit für andere Arten, sich an den Wal anzupassen, zumal es Wale schon seit ca. 42 Millionen Jahren in unseren Meeren gibt. Trotz der teilweise recht langen Lebensdauer war das Absterben eines Wals also keine Besonderheit.
Große Teile ihres Lebens verbringen Wale auf dem offenen Meer. Sinkt ein Tier nun nach dem Tode auf den Grund der Tiefsee, ist dies ein gewaltiger und langanhaltender Nahrungseintrag. Ein einziger solcher "whale-fall" kann mehr organisches Material einbringen, als die Sinkstoffe von tausenden von Jahren. So haben sich ganze Lebensgemeinschaften um die Überreste von Walen gebildet, die für manche Arten Nahrungsgrundlage für Jahrzehnte bildet.
 
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Neuentdeckung
Auf dem Substrat "toter Wal" in der Tiefsee wurde unlängst eine Wirbellosen-Klasse entdeckt, die dem Auge der Wissenschaft durch die besondere Lage (in diesem Fall fast 3000m tief) und der besonderen Umstände (auf einem toten Wal) bisher entgangen ist. Das gesamte Skelett des Wals war auf den ersten Blick von einer rötlichen Schleimschicht bedeckt. Bei näherem Hinsehen war dies jedoch eine ganze Schicht von Einzelindividuen, die zu weiten Teilen in offenbar selbstgebohrten Löchern im Knochen steckten und von diesem zehrten.

Fotomontage eines "whale fall" im Monterey Canyon, wie es im Februar 2002 kurz nach dessen Entdeckung erschien. Eine große Zahl roter Würm bedecken den Körper. Die kleinen rosa Tiere im Vordergrund sind Nahrungs-suchende Seegurken.
-> Vergrößern (250kb)

Image credit: (c) 2002 MBARI

Die beiden Arten O. frankpressi und O. rubiplumus unterscheiden sich nach RNA-Analysen um ~17,28% der COI-Gene (Cytochrom-Oxidase I), um ~7,63% der 16s mitochondrischen rRNA und 4,09 der 18s Kern-DNA.
Nach phylogenetischen Analysen liegt die nächste Verwandtschaft der "Knochenfresser" bei den Lamellibrachia in der Familie der Siboglinidae. Diese Röhrenwürmer leben an heißen Tiefseequellen und weisen ebenfalls weder Darm noch Mund auf. Sie ernähren sich auch über symbiontische Mikroben, die jedoch bei Osedax nicht in einem Trophosom sitzen. (Das Trophosom ist bei den Siboglinidae der die Körperhülle ausfüllende "Freßkörper" und mit Schwefelbakterien gefüllt.)

Ausschnitt eines Bildes vom Walknochen, der mit O. frankpressi bedeckt ist. Die wahrscheinlich als Kiemen dienenden rot-weißen Büschel sind gut erkennbar.
-> vergrößern (433kb)

Image credit: (c) 2003 MBARI

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Habitus
Das Einzige, was den von Weibchen auf Anhieb in ihrer natürlichen Umgebung, den Walknochen, zu sehen bekommt, sind rote buschige Auswüchse. Immerhin sieht man überhaupt etwas von ihnen, denn die Männchen waren zunächst nirgends zu sehen. Erst bei genaueren Untersuchungen der Weibchen konnten sie entdeckt werden: Mehr als hundert der mikroskopisch kleinen (pädomorphischen) Männchen konnten innerhalb eines Weibchens beobachtet werden. Dabei befanden sich sich in einem Stadium, welches vermuten lässt, dass die sie nicht über die Larvalentwicklung hinausgekommen sind.

Bild eines männlichen Osedax. Die Ähnlichkeit zu einer Trochophora-Larve ist gut zu erkennen. Die rote Hilfslinie markiert den Prototroch. In dem gelben Kreis ist ein Dottertropfen zu erkennen.

Bild verändert nach: Rouse et al., Osedax: Bone-Eating Marine Worms with Dwarf Males, Science 2004 305: 668-671

Bei den roten Büscheln, die bei den weiblichen Tieren zu sehen sind, handelt es sich um Kiemen. Bei Bedrohung können diese in eine durchsichtige Röhre zurückgezogen werden, die noch außerhalb des Knochens liegt. In dieser Röhre befinden sich neben den Männchen starke Retraktormuskeln, sowie ein Ovidukt, um die in den Eiersäcken produzierten Eier in das Außenmedium abgeben zu können.
Für gewöhnlich befindet sich der Rest des weiblichen Körpers im Walknochen. Er besteht aus einem verzweigten "Wurzelsystem" mit grünlicher Farbe. Direkt unterhalb der Röhre liegt ein großer, mit Eiern gefüllter Sack. Von diesem ausgehend durchziehen weitreichende "Wurzeln" das Gebein. In diesen Auswüchsen leben Millionen von symbiontischen Mikroorganismen. Einen Darm oder eine Mundöffnung besitzt Osedax nicht.
Die Informationen über das Männchen beschränkten sich inhaltlich auf den das obere Bild begleitenden Text.

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-> vergrößern (149kb)
Image credit: (c) 2003 Greg Rouse (verändert)
-> Vergrößern (270kb)
Image credit: © 2003 Greg Rouse
Labor-Foto von Osedax frankpressi (aus den Knochen entfernt): Die Körperteile von a) bis c) befinden sich im Wasser, unterhalb von c) ist der Rest des Körpers im Knochen verborgen. Zur Erklärung der Abkürzungen mit dem Cursor auf die Beschriftung (a-e) klicken.
 
Skizze von O. rubiplumus: Die Knochen sind auf dem Bild "weggeschnitten", um Eiersack und Wurzeln freizugeben.
links: Vergrößerung mit angedeuteten Männchen
mittig: kontrahierte Form des Weibchens nach Störung
rechts: ausgestreckte Form des Weibchens
(gezeichnet von Howard Hamon)
Eiersack Wurzeln
top Eiersack Wurzeln
Ernährung
Die Nahrung besteht ausschließlich aus dem Gebein abgestorbener Wale in der Tiefsee. Diese Tiere sind damit absolute Nahrungsspezialisten. Die Zufuhr der Nährstoffe erfolgt durch endosymbiontisch im "Wurzelsystem" von Osedax lebende Bakterien, die zur Fettspaltung befähigt sind (die Stäbchenbakterien Oceanospirillales). Die Symbiose mit fettspaltenden Mikroben unterscheidet sich sehr von den üblichen chemolitho-heterotrophen Ernährungsweisen anderer Tiefseeanneliden und den Sulfid- oder Methan-oxidierenden bakteriellen Endosymbiosen bei Mollusken, und ist damit ein Novum.
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Fortpflanzung
Die Mechanismus der Fortpflanzung ist, so Robert Vrijenhoek vom Monterey Bay Aquarium Research Institute, mit dem beim Löwenzahn (Taraxacum officinale) zu vergleichen: Die Tiere wachsen sehr schnell, produzieren eine große Anzahl Larven oder Eier und geben diese in die Meeresströmung frei. Dies ist auch notwendig, da die ganze Kolonie abstirbt, sobald die Wahlfischknochen aufgezehrt sind. Um den Fortbestand der Art zu sichern, muß der freigegebene Nachwuchs zufällig auf einen toten und herabgesunkenen Wal treffen, um dort eine neue Kolonie zu gründen. Ohne ein schnelles Wachstum mit anschließender weiter Verteilung würde dies nicht funktionieren.
In den männlichen Osedax, die in den Röhren der Weibchen gefunden werden konnten, entwickeln sich die Samenzellen. Häufig sind noch Reste des Dotters in den Männchen sichtbar. Von der Morphologie her ähneln sie sehr stark den Siboglinidae-Trochophora-Larven. Bis zu 111 männliche Individuen konnten in einer einzigen Röhre eines Weibchens ausgemacht werden. Das Verhältnis von ♂ zu ♀ beträgt ungefähr 17:1. Wahrscheinlich kann dieses Verhältnis den Umweltbedingen angepasst werden.
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Thanks
I would like to thank the Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI) who made the high-resolution pictures available to me. This helped me understanding the matter a lot and is greatly appreciated.
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Quellen
Rouse et al., Osedax: Bone-Eating Marine Worms with Dwarf Males, Science 2004 305: 668-671
http://www.mbari.org/news/news_releases/2004/whalefall.html
http://www.wissenschaft.de/wissen/news/243463.html
All rights of the shown pictures (except "Wale im Größenvergleich") belong to the MBARI as stated here.
Quelle der Karte: modifiziert nach dem "cruise log" der "R/V Poin Lobos"

 

Sönke von den Berg, August 2004


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