Im Uebrigen meine ich, dass Karthago zerstoert werden muesse von Tobi |
Stellt euch vor, ihr schaut in eine riesige, unbeleuchtete Lagerhalle. Fahles Mondlicht dringt durch versiffte Fenster und erlaubt es nicht einmal, auch nur Konturen zu erkennen.
Auf einmal werden 10,000 Kerzen auf einmal entzuendet und das Licht wird von verspiegelten Waenden reflektiert. Stellt euch weiterhin vor, die Lagerhalle sei nur ein Gleichniss, Kerzen und Spiegelwaende stellten in Wirklichkeit Jubelschreie und Hupkonzerte dar.
Dann habt ihr in etwa den Sinneseindruck, der sich einem nachts um halb eins bietet, wenn man gerade friedlich am Schlafen ist und die Red Sox soeben die “World Series” gewonnen haben.
Um das ganze genauer zu erklaeren unternehmen wir eine kleine Zeitreise in das Jahr 1920. Das Baseballteam “Red Sox”, seit jeher Kerosin im Feuer des lodernden Massachusetts – Lokalpatriotismus, hat gerade nach Streitigkeiten ueber die Bezahlung und Spielmodalitaeten einen seiner besten Spieler, George Hermann Ruth (selbst Baseball – Komplettverweigerern wie mir besser bekannt als “Babe Ruth”) an die New York Yankees verkauft. Und auf einmal funktioniert nichts mehr. Steigen die Red Sox ueberhaupt mal in die World Series (die wohl so die Spitzenliga des Baseballs hier ist) auf, werden sie – zumeist von den New York Yankees – geschlagen, nachdem sie vor Verkauf des Spielers fuenf Mal in Folge gewonnen hatten. Auf dieser Tatsache begruenden zwei interessante Wesenszuege des Bostoners an sich: 1. Er hasst New York und seine Yankees 2. Er betet (meistens bedeutet dies, dass der Mob nach verlorenen Spielen randalierend und brandschatzend durch die Stadt laeuft und durch mitunter toedliche Folgen habende Gummiegeschosse der Polizei in Schach zu halten versucht wird), dass “The Curse”, “Der Fluch”, der mit dem Verkauf von Ruth einsetzte, endlich ein Ende haben moege und die Red Sox mal wieder die World Series gewinnen. Genau das passiert Ende Oktober 2004, nachdem man den Yankees mehrmalig eine gehoerige Abreibung verpasst hat. Wie gesagt, interessiert mich ueberhaupt nicht, allenfalls, dass ich jetzt weiss, warum mir eine Stunde meines seligen Schlafes geraubt wurde. (in Kellergeschoss unseres Hauses nistet uebrigens eine “Terrorzelle”, im allgemeinen tosenden Freudenrausch auf den Strassen ringsum hoert man ein verzagtes “Go Yankees!” aus den Untiefen unserer Katakomben.
Der als vernichtend beschriebene Winter ist immer noch nicht ueber uns hergefallen, der im letzten Text mit Costa Rica verglichene Sommer ist erstmal einem beeindruckendem Herbst gewichen, mit einer Farbenpracht an kahlenden Baeumen, die in Deutschland unerreicht bleibt (Botaniker an die Front: Welche klimatischen Unterschiede sorgen dafuer? Ist vielleicht eine Diplomarbeit wert). Das Wetter ist im Durchschnitt klarer als in Hannover und die Squirrels (Graue Eichhoernchen) werden fluffiger dank Winterfells. Diese Tierchen sorgen neben den herbstlich getuenchten Laubbaeumen fuer Alltagsaesthetik am Strassenrand.
Ich bin immer noch gut in diversen Laboren beschaeftigt, das macht zwar Spass, schreit aber auch nach Abwechslung. Ich mache also einen Tag blau und fahre statt zu Dr. Smiths Motten (in denen Hormone untersucht werden) zu Dr. Ayers (bzw. meines Mitbewohners Bjoerns) Hummern in die Aussenstelle der Uni nach Nahant. Nahant ist ein kleines, beschauliches Oertchen auf einer Halbinsel mit faszinierend zerkluefteter Felskueste, Altersduchschnitt des recht oede aber irgendwie heimelig wirkenden Ortes ist wohl ueber 50 aber das ist egal, man will schliesslich ins Marine Science Center, wenn man schonmal hier ist. Dort wird, wie gesagt, am Nervensystem von Hummern herumexperimentiert, ich nutze meinen Vormittag dort fuer einen Rundgang durch das Institut und die Umgebung und fuer einen mitleidigen Blick auf einen aufgeschnittenen, noch lebenden Hummer, dem gerade Elektroden in das Hirn geschoben werden. Es lebe die Wissenschaft…
Die erwaehnten, schnoede geschrieben bunten Blaetter nennt man in ihrer Gesamtheit uebrigens “Indian Summer” und deutsche Touristen bezahlen viel Geld fuer Fluege, um sich diesen hier anzusehen. Deutsche Studenten hingegen kratzen ihre vom Kaffee zusammengesparten, zerknitterten Dollarscheine (wie dramatisch!) zusammen und fahren allenfalls in die Hauptstadt des Nachbarbundesstaates New Hampshire, nach Concord naemlich. Dort gibt es eigentlich gar nichts. Den Indian Summer kann man an den umliegenden Waeldern wenigstens erahnen. Naja, halt, doch, das “Museum of New Hampshire History” gibt es noch, aber das ist - fuer die, denen dieses Wort etwas sagt – extrem stulle. Informationen gibt es kaum, die mangelnde Kritik an der eigenen Geschichte ist unglaublich (als einziger Hinweis auf die ehemaligen Ureinwohner der Gegend ist der Dankesbrief eines Indianerhaeuptlings an Missionare ausgestellt, auf dem tatsaechlich (kein Scherz!) so etwas steht wie “Danke, dass ihr uns mit Gewalt zum richtigen Glauben gezwungen habt, jetzt geht es uns viel besser, wir haben - ist wohl ne Metapher – unsere alten Kanus durch neue ersetzt” – Und das ist KEINE Satire). Im oberen Stockwerk des Museums ist dann eine Ausstellung ueber Milch und die ist so belanglos, dass es einem die Schuhe auszieht (“In den 1950ern wurde Milch in folgenden Kannen geliefert:” oder “ Dies ist eine Kuh. Kuehe geben Milch” )
Zum Thema Indianerhaeuptling muss ich allerdings positiv anmerken, dass hier in Boston, ich habe es glaube ich schon erwaehnt, doch eher kritisch mit der Geschichte und Gegenwart umgegangen wird. In einigen Zeitungen (naja, okay, nicht in den wirklich ernstzunehmenden) wird Bush sehr offen und vor allem offensiv aufs Korn genommen. Kurz vor der Wahl publiziert “The weekly Dig” z.B. eine Liste “107 [satirische] Gruende dafuer, Bush zu waehlen”. Meine Favoriten:
106. Bush will ensure that dangerous retards from Texas are either executed or elected president. (Bush wird sicherstellen, dass gefaehrliche Zurueckgebliebene aus Texas entweder hingerichtet oder zum Praesidenten gewaehlt werden)
66. Oil - rich Ivy Leaguers raised by former presidents have a unique understanding of middle – class Americans. (Oel – millionenschwere Eliteuniversitaetsabsolventen, die von ehemaligen Praesidenten grossgezogen wurden haben ein einzigartiges Verstaendnis fuer Amerikaner der Mittelklasse)
22. He [Bush] smirks at totally inappropriate times, just like you and your Ohio beer buddies. (Er grinst in total unpassenden Momenten, genau wie du und deine Saufkumpane aus Ohio)
6. Your unwanted child will thank you for it – after successfully suing you for neglect in 20 years (Dein ungewolltes Kind wird es dir danken – nachdem es dich in 20 Jahren wegen Vernachlaessigung verklagt haben wird [Bush ist fanatischer Abtreibungsgegner]).
Dann allerdings hoert man von einem Assistenten, der einen Politikkurs betreuend den Bush – kritischen Film “Fahrenheit 9/11 zeigt”, dafuer nach Beschwerde wohl eines einflussreichen Elternteils vom Praesidenten der Uni zusammengeschriehen wird und Entschuldigungsbriefe schreiben muss.
Zur Atmosphaere an der Uni schreibe ich spaeter ausfuehrlicher, das soll erstmal reichen (na Gott sei Dank!), es verbleibt mit besten Gruessen,
Tobi
11/3/04 (fl bloede Ami – Daten)
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